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Klaus Woltron

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Das Nullte Gebot und die berufliche Ethik.

Zeitgemäße Betrachtungen um 1989.

Wer lange nachdenkt und viel weiß, kriegt Kopfweh. Als Produkt mancher Stunden Kopfweh habe ich, über viele Jahre, meinen ganz eigenen Moralkodex ausgedacht. Er baut auf viel Konrad Lorenz, Viktor Frankl, Teilhard, Monod, einer soliden wissenschaftlichen Ausbildung, romantischen Dichtern, überwundenem, aber natürlich tief eingebranntem Katechismus, ein bisschen 68-er — tum, dessen Opposition und einer zunehmenden Menschenkenntnis samt den damit zwangsläufig verbundenen seelischen Beulen und Schrunden auf. Ich will nicht kompliziert und wissenschaftlich sein und nenne nur das Resultat meiner Überlegungen — wer will, kann auch die ganze logische Kette haben, nach diesem Sukkus. Sie ist lange und mühsam. (Wenn ich sie nicht auf meiner Fixed Disc gefunden hätte, in präzisem MS/DOS — Format, wären manche Teile davon schon aus meinem Gedächtnis gefallen.)

1. Ohne Sinn, ohne zusammenhängendes Erklärungsgebäude für die Welt kann kein Mensch leben.

2. Der Intellekt reicht zur Darstellung eines solchen Gebäudes nicht aus und wird auch nie ausreichen.

3. Ein individuelles fassbares Ziel für den Menschen gibt es nicht in befriedigender Weise, weil er ein Gemeinschaftswesen in der Familie der Lebewesen ist. Dort ist er entstanden, dort und daran haben sich seine Sinne geschärft und entwickelt. Die Natur ist nicht zielgerichtet, sondern ursachenbestimmt. Der Begriff "Sinn" ist menschlich, endlich und hat in der Natur keine wirkliche Entsprechung.

4. "Sinn" in der (für mich) tiefsten Bedeutung macht daher das, was dem Leben insgesamt maximal nützt, was den Gesetzen der Evolution optimal entspricht.

Das oberste Gute, die Basis allen Ethos ist:

Nütze dem Leben und der Freude

Das ist mein

Nulltes Gebot.

Zehn Gebote sind zu viel, zu mindestens für mich. Fünf oder sechs genügen, aber das wichtigste steht nicht in der Bibel: Nütze dem Leben und der Freude. Das zweitwichtigste: Lüge nicht und gehorche Deinem Instinkt für Anstand.

In der beruflichen Praxis: Auf der Kurzstrecke ist der Gauner schwer zu schlagen. Im beruflichen Marathon jedoch siegt fast unfehlbar der Zuverlässige, Anständige, Echte. Man fühlt sich in Befolgung dieser Maxime derzeit zwar manchmal wie ein Geisterfahrer, aber das wird sich bald wieder ändern.

Kann man mit Anstand Geld verdienen?

Man kann als anständiger Mensch sehr viel Geld verdienen, wenn man nicht nebenbei dumm, faul oder naiv ist und dieses Geld nicht schnell, sondern mit ehrlicher, ständiger, effizienter Arbeit — in welcher Branche auch immer — verdienen will. Naivität ist nicht gleich Anstand, und ein bisschen List ist nicht verboten, wenn sie nicht Tücke ist. Es ist sehr schwer, komplexe Situationen mit Anstand zu bestehen — doch die wirklichen Profis zeichnen sich gerade dadurch aus. Hätte Henry Ford I. mit Unehrlichkeit oder Falschheit seine Leute motivieren können? Kann Percy Barnevik seine 200.000 Leute über Jahre für sich gewinnen, wenn seine Worte und Taten nicht jahrelang konsistent und nachvollziehbar anständig sind, trotz aller nordischen List? Haben die vielen jetzt eingesperrten oder vor der Einlochung stehenden Österreicher, die uns noch vor drei Jahren, mit dem Whiskyglas in der Hand und heimlich, verlacht haben, wenn wir uns abgemüht haben, jetzt von ihrem mit vermeintlicher Schläue ergaunerten Geld wirklich etwas?

Ohne persönliches Ethos — wie immer es im Detail aussieht, wenn es nur dem Nullten Gebot gehorcht — ist alles nichts. Geld und Erfolg haben nur Wert, wenn sie in einem breiteren Umfeld genießbar, er"freu"bar sind. An sich und isoliert sind sie nichts wert, oder sogar eine Last. Daher — ohne Anstand (hochgestochen Ethos) hat’s gar keinen Sinn, sich zu plagen — man kann sich an den Früchten nachher — irgendwann — nicht mehr freuen.

Und wozu dann das Ganze?

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