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Klaus Woltron

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Die bedrohte Freiheit des Eigentums

Modifizierter Beitrag zum Jahresbericht 2015 einer großen Bankengruppe

Vorwort

Als Peter Rosegger noch ein Waldbauernbub war, im neunzehnten Jahrhundert, kümmerte sich der Staat herzlich wenig um den Bürger. Er verlangte von ihm eher mehr, als er ihm zuteil werden ließ. Der Steuerpflicht und dem Muss für männliche Bürger, 2 Jahre unter den Waffen zu dienen, standen als staatliche Leistungen ein recht ungleich verteiltes Recht, an Wahlen teilzunehmen, die Möglichkeit, kostenlose Schulen zu besuchen, eine unterentwickelte medizinische Versorgung, Krankenversicherungsschutz (erst ab 1887), die Pflege und der Ausbau der Fahr- und Wasserwege gegenüber. Viele der bestehenden sozialen Einrichtungen beruhten auf privaten Initiativen. Außer diesem „Contrat social “ in einer embryonalen Form war die Rousseau’sche Forderung:

„Finde eine Form des Zusammenschlusses, die mit ihrer ganzen gemeinsamen Kraft die Person und das Vermögen jedes einzelnen Mitglieds verteidigt und schützt und durch die doch jeder, indem er sich mit allen vereinigt, nur sich selbst gehorcht und genauso frei bleibt wie zuvor“

… noch bei weitem nicht Realität geworden.

Erst Zug um Zug, und unter teils qualvollen Geburtswehen, begleitet von Aufruhr, Revolution und Klassenkampf, wurde jenes System verwirklicht, das man heutzutage das Sozialsystem nennt. Von Anfang an in seinen unterschiedlichen Ausformungen umstritten (beispielsweise in Form der Auseinandersetzungen der neoklassischen Wirtschaftstheorie unter Hayek und Mises mit jener der Keynesianer) hat das Sozialsystem zwei Hauptwurzeln: Die Einhebung und Verteilung des Steuergeldes einerseits, das Ausmaß und die Art der staatlichen Obsorge um die Bürger andererseits. Während die Anhänger der nachfrageorientierten Wirtschaft unter Keynes — gemeinhin unter dem schwammigen Oberbegriff „Sozialisten“ oder „Linke“ zusammengefasst — dem Staat eine dominierende Rolle in diesem Prozeß zuordnen, messen die Jünger der klassischliberalen Schule unter Mises, Hayek et al. (heute nicht ganz korrekt „Neoliberale“ genannt) dem Staat wohl eine Ordnungsfunktion in der gesetzgeberischen und exekutiven Metaebene, nicht aber in Form des direkten Eingriffs in die persönliche Sphäre des Bürgers bei.

Da alle größeren politischen Parteien — wie immer sie auch heißen mögen — heutzutage immer mehr Anleihen bei sozialistischen und keynesianischen Theorien nehmen, wächst der Staat zu einem Kraken heran, der sich aller und jeder Angelegenheit des Bürgers annimmt und ihn — unter Vermittlung des Gefühls einer zunehmenden Sicherheit und Beschütztheit — zunehmend entmündigt und einengt.
Eine Begleiterscheinung dieser Zwangsbeglückung besteht darin, dass er sich bemüßigt fühlt, indirekt auch in die Verfügungsgewalt der Bürger über ihr Eigentum einzugreifen und diese zu unterhöhlen. Dies erfolgt vermittels einer ganzen Reihe von Maßnahmen. Beginnend über das schon selbstverständlich gewordene Prinzip, die Besserverdienenden immer stärker zu besteuern, weiterführend über die Gepflogenheit, gespeichertes Vermögen per Kapitalertragssteuer nochmals zum Stopfen von Budgetlücken heranzuziehen, bis zu den immer stärker werdenden Tendenzen, letztendlich auch die Besitzer und Erben von akkumuliertem Vermögen nochmals in Anspruch zu nehmen, erstreckt sich der nimmersatte Appetit der Umverteilungsjünger.

Dass sich dabei die immer wieder zitierte „Sicherheit“ des Bürgers und die als Zeugin angeführte „Gerechtigkeit“ auf lange Sicht als trügerisch erweisen, zeigen viele Beispiele in der Geschichte. Die Überspitzung des sogenannten Wohlfahrtsstaates führt zu einer Lähmung der Einzelinitiative, zu nicht amortisierbaren Kosten, einer Einengung wirtschaftlicher Spielräume und letztendlich zu einem Verlust der wirtschaftlichen Sicherheit für alle.

Die nackten Zahlen: 2.718 Euro brutto im Monat verdiente der durchschnittliche Österreicher im Jahr 2013. Seit 2008 wuchs die Kaufkraft des Durchschnittsösterreichers nur um 2 Prozent, (beim liberaleren Nachbar Schweiz um satte 45 Prozent). In zehn Jahren stieg die Abgabenbelastung um 39 % auf 90 Milliarden € im Jahr und katapultierte Österreich an die viertschlechteste Stelle unter 30 Staaten. Schulden, ständig steigende Verwaltungskosten, schleichende Entindustrialisierung, Stützung von schlecht beaufsichtigten maroden Banken zwingen dazu, die Steuern laufend zu erhöhen. Stillschweigend wird auch die kalte Steuerprogression zur Auspressung genutzt. Wir sind am Ende des Wohlstandswachstums angelangt. Der Staat kassiert fast 50% aller Einnahmen der Bürger, führt einen Teil an diese zurück, finanziert einen aufgeblähten Apparat und seine Günstlinge — und verbrät, unfähig zur Reform, den großen Rest.

Wie konnte sich eine ursprünglich segensreiche Entwicklung derart pervertieren? Die Erklärung ist einfach. Volkstümlich gesagt: Irgendwann geht jede Entwicklung, bremst man sie nicht rechtzeitig „Ins Blöde über“. Dies gilt für jeden Prozess, insbesondere, wenn er mit Wachstum zu tun hat. Im Folgenden soll auf die geschichtlichen und systemischen Hintergründe näher eingegangen werden.

Eigentum und Haftung

Eigentumstheorien sind Erklärungsversuche zur Entstehung und Rechtfertigung der gesellschaftlichen Institution des Eigentums. Das Recht auf persönliches Hab und Gut wird in der Regel nicht infrage gestellt. Kontroverse Positionen gibt es hingegen in Hinblick auf das Eigentum an Grund und Boden sowie in Hinblick auf das Eigentum an Produktionsmitteln. Häufig wird unter dem Stichwort „Sozialpflichtigkeit des Eigentums“ zusätzlich die Frage diskutiert, ob und inwieweit aus Eigentum gesellschaftliche Verantwortung hervorgeht.

Mit dem Begriff „Eigentum“ ist der Begriff „Haftung“ untrennbar verbunden. Wer Besitz innehat oder erwerben will, haftet auch für dessen vertragliches Umfeld: Erhaltung, eventuell dadurch angerichtete Schäden, damit verbundene Verpflichtungen, Hypotheken, Kreditrückzahlungen, Bedingnisse beim Verkauf und Vererben. In den letzten Jahrzehnten sind diese Verpflichtungen immer stärker im Verschwimmen begriffen. Es macht sich eine Mentalität der „Versicherung auf Einseitigkeit“ breit.

Dazu ein Auszug aus einem aktuellen Kommentar in der „Wiener Zeitung“:

„… der Staat möge die Opfer des knallharten Frankens durch entsprechende Beihilfen schadlos halten, … als handelte es sich bei den Kreditnehmern um Opfer einer Naturkatastrophe — und nicht einer schiefgegangenen Währungsspekulation.“

Hier wird eine sukzessive Entsorgung des Prinzips der Haftung und der Verantwortung für eigenes Handeln beispielhaft sichtbar. Und der dreiste Anspruch auf das Privatisieren der Gewinne (etwa aus billigen Franken-Zinsen) und des Sozialisierens der Verluste (die dann der Staat oder die Banken übernehmen sollen). Viele große Akteure auf den Finanzmärkten haben das jahrelang genauso betrieben: Solange die Gewinne aus hochriskanten Geschäften sprudelten, wurden sie mit Vergnügen eingesteckt; als es dann krachte, nahm man die Staaten in die Pflicht. Auch hier schaffte man Haftung und Verantwortung ab. … Selbst Staaten versuchen mittlerweile, das Gesetz der Haftung außer Kraft zu setzen, wie das …  griechische Beispiel zeigt. …

So komfortabel sich die weitgehende Abschaffung des Haftungsprinzips für all jene anfühlen mag, die davon profitieren, so schädlich und ungesund ist sie insgesamt. Denn letztlich wird damit genau jene Unkultur des unverantwortlichen Handelns, des Zockens auf Teufel komm raus, des Ignorierens von Risiken und der leichtfertigen Verschuldung befeuert, die jene Wirtschaftskrise ausgelöst hat, die uns nun schon seit acht Jahren heimsucht. Und das ist so ziemlich genau das Letzte, was eine ökonomisch noch immer rekonvaleszente Welt derzeit braucht.“ (Ende Zitat).

Die bürgerlichen Rechte

Unter Bürgerrechten versteht man jene Rechte, die sich auf das Verhältnis zwischen Bürger und Staat beziehen. Die Verleihung der Bürgerrechte erfolgte in vielen europäischen Städten in der Zeit zwischen dem Mittelalter und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Grundlage hierfür war der Nachweis bestimmter Voraussetzungen (Einkommensnachweis, Leumund, Bürgereid u. a.)

„Die Freiheit, die Menschen … heute genießen, ist abgetrotzte, erkämpfte Freiheit in Jahrhunderten zuvor. Sie ist für sie selbstverständlich geworden. Doch Freiheit ist stets in Gefahr, nämlich durch den Staat mit dem Drang seines politischen Personals, seine Machtposition zu bewahren und zu erweitern, sowie durch die Menschen selbst: Das staatliche Personal gefährdet die Freiheit unter anderem mittels der sanften Gewalt ausufernder Fürsorglichkeit eines paternalistischen Sozialstaates, und zu viele Menschen lassen die Bevormundung mit sich geschehen, weil sie die mit der Freiheit zu tragende Eigenverantwortung scheuen und dem süßen Gift der vorgeblichen Fürsorglichkeit mehr und mehr verfallen. Daher hat Freiheit auf Dauer keinen Bestand, wenn die Menschen solches mit sich geschehen lassen und die Freiheit nicht beizeiten verteidigen. Insofern müssen sie um ihre Freiheit stets aufs Neue kämpfen“.

Da praktische alle „fürsorglichen Maßnahmen“ des Staates mit teils sehr hohen Kosten verbunden sind, sucht er sich die erforderlichen Mittel bei jenen zu arrogieren, welche sie entweder in höherem Maße als periodisches Einkommen erarbeiten oder bereits erspart, investiert und angelegt haben. Dies ist bis zu einem gewissen Grade legitim, aber ab einer stets umstrittenen Schwelle ungerecht, kontraproduktiv und für die gesamte Gesellschaft letztendlich schädlich. Wo diese Schwelle liegt, ist stets ein heiß umstrittenes Thema.

Die Rechte-Pflichten-Bilanz

Auch die Bilanz zwischen Staat und Bürgern muss einer doppelten Buchführung genügen: Einerseits sollten die Rechte eines Bürgers seinen Pflichten gegenüber der Gemeinschaft ausgewogen entsprechen (die „Rechte-Pflichten-Bilanz“), andererseits müssen die Erfolge dieses bilateralen Geschäfts für die gesamte Gesellschaft deren Misserfolge überwiegen (Gewinn-Verlustbetrachtung). Ist Letzteres nicht mehr der Fall, was in etlichen Beispielen der Übertreibung missverstandener staatlicher Fürsorge beobachtet werden konnte, führt sich das System selbst ad absurdum beziehungswiese in den finanziellen und sozialen Ruin. Dies wurde im Falle des realen Sozialismus im 20. Jahrhundert, anhand der Misserfolge mit dem „Volksheim Schweden“ oder dem Zusammenbruch der Staatsindustrie in Österreich, aber auch an jüngst angestellten Experimenten, z. B. in Venezuela, drastisch vor Augen geführt.

Es besteht ein ganzes Bündel von Möglichkeiten, auf eine immer schiefer werdende, ins Verderben führende Ebene zu gelangen. Beginnend mit zu hohen Löhnen und Lohnnebenkosten, welche auf dem internationalen Markt nicht mehr durchgesetzt werden können, über aufgeblähte Verwaltungen und höchst komfortable Umweltstandards, die zu gleichen Resultaten führen, bis hin zu Eingriffen in alles und jedes, was das unmittelbare Leben des Bürgers betrifft und ihn in schleichender Form der Eigeninitiative beraubt, existiert ein breites Instrumentarium für die staatliche Bürokratie und Legislative, ihre Möglichkeiten über Gebühr auszudehnen.

Der Teufelskreis der Wohltaten

Das Sozialsystem einer Volkswirtschaft fasst die über Steuern und Sozialabgaben finanzierten Absicherungen für die Bevölkerung zusammen. Die meisten Komponenten der heutigen Sozialsysteme in Europa wurden bereits gegen Ende des 19. Jahrhunderts eingeführt. Während der deutsche Bundeskanzler Ludwig Erhard noch vermutete, ein Sozialsystem würde mit steigendem Wohlstand einer Gesellschaft mehr und mehr überflüssig werden, zeigte sich in den letzten Jahrzehnten, dass mit sinkender Not der Bedarf — besser Appetit — an einem umfassenden Sozialsystem sogar steigt. Dies ist u.a. das Resultat des Bedürfnisses der Regierenden — aller Regierenden — sich beim Volk durch immer mehr Benefizien beliebt zu machen, zurückzuführen. Daß all dies letztendlich vom Volk selbst wiederum zu bezahlen ist, mit beträchtlicher zeitlicher Verzögerung allerdings, nachdem das erste Wohlbefinden zur Selbstverständlichkeit geworden ist, kann mit Fug und Recht als „Teufelskreis der Wohltaten“ bezeichnet werden.

Die Sicht der Monetaristen

Die Anhänger der österreichischen Schule der Nationalökonomie sehen die heutzutage fortgeführte Intensivierung des Sozialsystems kritisch: Da zu dessen Aufrechterhaltung Steuern nötig sind, die nach neoklassischer Theorie zu Nettowohlfahrts-Verlusten führen, konkurriert ein Sozialsystem mit dem Wohlstand der Allgemeinheit. Mit einem ausgeprägten Sozialsystem ließe sich somit keine Vollbeschäftigung erreichen. Dennoch scheint ein Sozialsystem nötig, um Kranken, Alten oder Arbeitsunfähigen ein Auskommen zu ermöglichen. Inzwischen versucht man durch eine Beschränkung des Sozialsystems eine Rückkehr zur ursprünglichen Idee zu erreichen und somit einer „Empfängermentalität“ entgegenzuwirken. Dies zeigte sich bereits in den 1980ern durch einen Umbau des Sozialsystems in Großbritannien, später in Schweden und in Ansätzen auch in Deutschland (Hartz IV).

Der Standpunkt der Keynesianer

Die Keynesianer hingegen — heutzutage besonders beflügelt von begeisterten Anhängern des Quantitative Easing und der nachfrageorientierten Betrachtung des Marktes, wie z.B. des Nobelpreisträgers und Publizisten Paul Krugman, sehen das Sozialsystem auch als einen anspornenden Faktor der Volkswirtschaft. Erstens als permanente Stütze der privaten Konsumnachfrage, zweitens als Stabilisator in Krisenzeiten und drittens zur Eindämmung von Unsicherheit. Aus keynesianischer Sicht lässt sich empirisch kein signifikanter negativer Zusammenhang zwischen dem Ausbau des Sozialstaates und Wachstum bzw. Beschäftigung herleiten.

Das süße Gift der staatlichen Fürsorge

„Der Weg, der von der Freiheit wegführt, ist mit Steuern gepflastert“

Außer Frage steht die Tatsache, dass jegliche Übertreibung — welchen Systems auch immer — dasselbe zum Zusammenbruch führt. Dies gilt für die Vermehrung einer Tierart ebenso wie für unkontrolliertes Gelddrucken, Verkehrskollaps durch zu viele Fahrzeuge und Paralyse von Stromnetzen durch Überlastung. Demzufolge existiert auch eine Grenze, ab derer eine Weiterentwicklung des Sozialstaats, des Transfers von Einkommen und des Eingriffs des Staates in die Verteilung von bereits geschaffenen Vermögen beginnt, das System zu destabilisieren.

Der Nanny-State

Der englische Ausdruck Nanny State wurde vom konservativen britischen Abgeordneten Iain Macleod mitgeprägt. In seiner Kolumne Quoodle des The Spectator, Ausgabe vom 31. Dezember 1965, schrieb er „what I like to call the nanny state…“ Unter dem Begriff „Nanny-State“ versteht man eine Politik, in der der Staat exzessiv seinen Wunsch, zu beschützen, zu regieren oder bestimmte Teile der Gesellschaft zu kontrollieren und andere dabei zu bevorzugen, verfolgt.

Der beschriebene Effekt hat vielerlei Ursachen. Etliche davon wurde bisher ja schon angedeutet und beschrieben. Der Nanny-State profitiert sowohl von treibenden als auch stabilisierenden Kräften. Er wird begünstigt durch die zunehmende Anzahl von Menschen, die in Abhängigkeit von ihren Gläubigern gelangen und ihre Schulden gerne loswerden wollen. Dies versucht man vermittels einer ganzen Reihe von teils höchst fragwürdigen und unseriösen Mechanismen zu erreichen: Zum Ersten vermittels einer immer stärkeren Besteuerung der Einkünfte, Ersparnisse und des Vermögens der Besserverdienenden. Zweitens vermittels einer steigen Aufweichung der Bedingnisse von Privatkonkurs-Verfahren. Dazu kommt noch — in besonders umfangreichem und wirksamem Maßstab — die Verdünnung des Geldwerts per Quantitative Easing und damit Abwertung des Wertes der angesparten Vermögen. Die Krone setzt dem Umverteilungs- und Enteignungsvorgang die kontinentale Bailout-Praxis in Europa auf, die vermittels gigantischer Kreditierung von Staaten, die ihre Schulden niemals gänzlich zurückzahlen werden, die Nettozahler als betrogene Gläubiger auf ihren Forderungen sitzen bleiben lässt — damit vor allem wieder Sparer, Pensionsfonds und Versicherungen.

Die Stabilisierung dieser Absichten erfolgt insbesondere durch eine stete Beeinflussung der öffentlichen Meinung insofern, als alle Finanzinstitutionen a priori als verdächtig und korrupt, Vermögende als herzlose Ausbeuter, Besserverdienende als potentielle Steuerhinterzieher und Erben als Schädlinge am arbeitenden Volk verunglimpft werden. Dass man sich dabei zu Recht auf zahlreiche schlechte Beispiele berufen kann, ändert nichts an der Tatsache, dass man damit dem weitaus größten Teil gesetzestreuer, fleißiger und sozial denkender Mitbürger, Steuerzahler und unentbehrlicher Finanzinstitutionen bitter Unrecht tut.

Währungsreform als letztes Mittel

„Wenn die Staatsverschuldung die Höhe des Bruttoinlandsprodukts übersteigt, die Zinslasten für die aufgenommenen Staatsschulden die übrigen Staatsausgaben spürbar einengen, die Leistungsbilanz negativ wird, dann können entweder Wirtschaftswachstum, die Senkung der Staatsausgaben, Steuererhöhungen, Verkauf von Staatsvermögen, der Schuldenschnitt bei den Staatsanleihen oder Inflation Entlastung bringen.“

Wenn auch diese Mittel nicht mehr wirken, bleibt nur mehr die Währungsreform. Durch diese werden die Umrechnungskurse für Bargeld, Bankguthaben und Verbindlichkeiten gesetzlich neu festgelegt und die Positionen von Schuldnern und Gläubigern — immer zuungunsten der Gläubiger — massiv verschoben.

„Der Erfolg einer Währungsreform hängt wesentlich davon ab, dass Zeitpunkt und Einzelmaßnahmen geheim gehalten werden; idealerweise fände sie überraschend statt. Sonst drohen Ausweichbewegungen der Informierten bzw. richtig Spekulierenden in andere Länder („Kapitalflucht“) in stabilere Währungen und/oder in Sachwerte“.

Betrachtet man die Lage einiger südeuropäischer Staaten, so könnten diese nicht mehr allzu weit von einem solchen Schritt entfernt sein. Was ihnen derzeit dabei hilft, das verbindliche Eingeständnis der bereits eingetretenen Pleite („Offenbarungseid“) zu vermeiden, ist die solidarische Haftung aller Europäer — ein Umstand, der paradoxer Weise vermittels der sogenannten Bailout — Klauseln in den Verträgen von Maastricht ausdrücklich ausgeschlossen worden war. Es hilft im Moment, so bizarr dies auch klingen mag, nur mehr der eingestandene Vertragsbruch.

Die Anmaßung der Political Correctness

Das Schlagwort „Politische Korrektheit“ stammt aus dem englischsprachigen Raum (etwa 1980, im Zuge der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung). Ursprünglich bedeutete es die Zustimmung zur Idee, Ausdrücke und Handlungen zu vermeiden, die bestimmte Gruppen von Menschen, bezogen auf Geschlecht oder Rasse, kränken oder beleidigen. Die Political Correctness hat dafür gesorgt, dass alles aus unserem Wortschatz verbannt wird, was man als Abwertung verstehen könnte.

Wie alles, was man auf die Spitze treibt, wird auch dieser Effekt in den letzten Jahren pervertiert, missbraucht und seine Wirkung teils ins Gegenteil zur ursprünglichen Absicht gelenkt. Dazu einige, teils skurrile, Beispiele:

Tabus und Gutmenschen

"Zehn Deka Negerbrot, bitte." Das kleine Bonbongeschäft in der Wiener Neubaugasse ist einer der letzten Horte, in denen die Schokolade mit Erdnüssen noch unter ihrem alten Namen verkauft wird. „Es hat schon immer so geheißen“, erfährt man von der Verkäuferin. Ein Argument, das dieser Tage öfter zu hören war — rund um eine neue Eissorte, angelehnt an den „Mohr im Hemd“. Man bewarb sie mit dem Slogan „I will mohr“ — und erntete dafür heftige Proteste aus der schwarzen Community, die sich durch den Begriff „Mohr“ angegriffen fühlte. Damit sei ja kein Mensch gemeint, es werde keine Gruppe diskriminiert, war der empörte Tenor in Leserbriefen und Online-Foren. Tatsächlich ist Mohr ein derart veralteter Begriff, der fast ausschließlich in der Kunst (Othello), Redewendungen („Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan“) oder eben — völlig entpersonalisiert — bei klassischen Süßspeisen verwendet wird.

„Negeraufstand ist in Kuba“, klingt es über die Wiese, die Jungschargruppe hat sich um das Lagerfeuer versammelt. „Umbaumbarassa, umbaumbarassa, umbahehohehohoho“, singen sie zur Gitarrenbegleitung. Bis vor einigen Jahren ein ganz normales Szenario. Das Bild des Schwarzen als exotisch-primitiver Dschungelbewohner gehörte dazu. Und das mag nicht einmal böse gemeint gewesen sein. Der Begriff Neger galt als völlig wertfrei, man wuchs bis in die Achtziger damit auf und dachte nichts Böses dabei.

Dass sich die derart angesprochene Gruppe durch dieses Wort diskriminiert fühlte, drang erst langsam ins kollektive Bewusstsein vor. Erst in den Neunzigern verschwand der Begriff schließlich aus dem Schulunterricht, wurde Kindern beigebracht, Menschen mit dunkler Hautfarbe nicht mehr als Neger zu bezeichnen, sondern als Schwarze oder auch als Farbige.

Auf der anderen Seite steht der Mensch, der sein Weltbild in Freund und Feind aufteilt — und gerade bei brisanten Themen wie „Ausländern“, „Frauen“ sein rationales Denken durch die Moral ersetzt, wie Philosoph Konrad Paul Liessmann das Phänomen beschreibt. Der Begriff für diesen Menschentyp hat sich schon als eine Art Schimpfwort etabliert — der „Gutmensch“. Liessmann: „Der gute Mensch ist gut, weil andere böse sind. Er weiß nicht mehr, wofür er sein soll, aber er weiß, wogegen er sein soll.“ In reziproker Form gilt dies für die bösen „Bankster“, „Ausbeuter-Kapitalisten“ und „Zocker“. Dass die Verwender dieser abwertenden Bezeichnungen ihre Pensionsansparungen, ihr Sparkapital und Gehaltskonto genau jenen „Bankstern“ anvertrauen bzw. die „Zocker“ damit mit Kapital versorgen, scheint ihnen dabei zu entgehen.

Die moralinsaure Gesellschaft

Fast wie ein Befreiungsschlag mutet da absichtlich unkorrektes Verhalten an, das heute vielerorts schon als Qualitätsmerkmal gesehen wird. Polemiker wie der Journalist und Buchautor Henryk Broder („Schöner denken. Wie man politisch unkorrekt ist“) leben davon. Und Komiker wie Harald Schmidt oder Oliver Pollak („Ich darf das, ich bin Jude“) werden als Kämpfer gegen die moralinsaure Gesellschaft gefeiert. Seltsam allerdings sind manche Querschläger, die die Debatte skurril verbrämen: Die Vertreter der Political Correctness, die mit heißem Eifer jede noch so kleine echte oder angebliche Diskriminierung verfolgen, ersticken den akademischen und, kraft der Unmittelbarkeit, die Twitter und Facebook verschaffen, medialen Ideenaustausch. Und es sind zusehends linke und liberale Stimmen, die darum verstummen. „Es gibt so viele Landminen, auf die man heute treten kann“, schreibt der linke Autor Fredrik deBoer. „Ich bin nicht allein mit meinem Gefühl, dass es typischerweise nicht wert ist, sich angesichts der Risiken einzumischen.“

Diese Beispiel zeigen, wie bestimmte Gruppen mit teils weltweitem Erfolg versuchen, ihre speziellen Anliegen im Moralsystem der Menschen unterzubringen, ohne dafür eine demokratische oder legislative Legitimation erworben zu haben. Allein mit den Mitteln der Propaganda, der unwidersprochenen Wiederholung immer derselben Argumente und damit der Tränkung des öffentlichen Bewusstseins mit ihrer Beweisführung werden Tabus eingerichtet, die an urtümliche Riten von Aborigines erinnern. Manchmal kann man sich auch des Eindrucks nicht erwehren, dass die Förderer mancher dieser Projekt ganz bewusst Anleihen bei der Theorie der Entstehung von Tabus gemacht haben.

Bereits vor fast 40 Jahren beschrieb die Kommunikationswissenschaftlerin Elisabeth Noelle-Neumann die sogenannte „Schweigespirale“. Sie beobachtete, dass viele Menschen ihre öffentliche Meinungsbildung davon abhängig machen, was sie für die Mehrheitsmeinung halten. Dieser schließen sie sich an, um gesellschaftliche Isolation zu vermeiden. Öffentliche Personen und führende Medien geben die Richtung des Diskurses vor. Die Spirale entsteht, wenn diejenigen, die vermuten, ihre Auffassung gerate in die Minderheit, sich zurückziehen und schweigen. Dadurch wirkt die andere Gruppe stärker und erscheint als Mehrheitsmeinung, oft ohne es tatsächlich zu sein. Das hat zur Folge, dass unterlegene Themen in der Öffentlichkeit immer weniger vorkommen — was bis zur Entstehung eines Tabus führen kann.

Ein ganz aktuelles Beispiel ist der Versuch bestimmter Gruppierungen, die nackten Tatsachen der griechischen Schuldenkrise so umzudeuten, dass Ursache und Wirkung verwechselt und letztendlich jene, die den Griechen hunderte Milliarden geborgt haben, als die eigentlichen schuldhaften Verursacher des dort herrschenden Elends dastehen. Es ist schon sehr riskant, dagegen mit klaren, unumstößlichen faktischen Argumenten aufzutreten und dabei nicht einen Sturm moralischer Entrüstung zu riskieren. Dass es in dieser Auseinandersetzung um ein gigantisches Umverteilungsprojekt mit unabsehbaren Beispielsfolgen für uns alle geht, feuert die Initiatoren dieser Umdeutung aller Werte per Tabuisierung der klaren Identifikation der Schuldigen in ihrem religiösen Eifer nur noch stärker an.

Das Wachstum der Regulative

„Dürfen Sie das überhaupt noch?“ fragt ein sichtlich verunsicherter Mann den Verkäufer in Müns-Spezial-Elektrik in Frankfurt, „das ist doch schon verboten, oder?“

Der Verkäufer hinter dem Tresen und vor den hohen Regalen mit Glühbirnenschachteln darf, was er tut: Er verkauft Glühbirnen. Besonders gerne verkauft er Birnen, die durch EU-Bestimmungen systematisch aus den Regalen verbannt werden und bis 2016 völlig verschwunden sein sollen. Verboten sind sie deshalb noch lange nicht. Gesockelte Energiesparlampen existieren seit etwa 25 Jahren. Schon immer enthalten sie Quecksilber, welches die EU in Thermometern schon lange verboten hat. Bei ihrer Herstellung entsteht ein Vielfaches an CO2. Schon immer kosten sie etwa achtmal so viel wie herkömmliche Glühbirnen bei ähnlicher Lebensdauer und ähnlichen Herstellungskosten. Mit knapp 200 Millionen verkauften Exemplaren pro Jahr allein in Deutschland lässt sich mit ihnen jedoch ein Vielfaches an Geld verdienen. Wahrscheinlich ein Grund, warum sich keiner der Hersteller gegen den EU-Beschluss gewehrt hat. Der Skandal ist die hemmungslose Bevormundung des Bürgers. Denn in einem Punkt ist man sich sicher: Bei den Verordnungen gehe es nicht um Umweltschutz. Es würden schlicht die Interessen der Konzerne durchgesetzt. „Wir leben schon lange nicht mehr in einer Demokratie sondern werden mehr und mehr zu einer Marionettengesellschaft der Industrie und Bürokratie“.

Dieses Beispiel ist nur eines von vielen. Es zeigt aber exemplarisch die undemokratische Nutzung von großen, weit entfernten Machtzentren durch starke Lobbys zu Zwecken, die weder dem Bürger noch der Umwelt und letztendlich auch nicht der Wirtschaft als Ganzes dienen, sondern ausschließlich den Interessen jener, die diese Art der Manipulation am geschicktesten nutzen. In unerhörtem Maßstab wird Lobbying genutzt, um Risiken von fallierende Krediten, Garantien und Staatsschulden sukzessive auf die Allgemeinheit und damit indirekt auf den Bürger, Steuerzahler und Sparer zu verschieben — ein Effekt, der um ein Vielfaches schmerzlicher ist als der Glühbirnenskandal.

Versicherungsvereine auf Einseitigkeit

Fast alles, was man heute modernerweise als dem Staate oder der Europäischen Union geziemend propagiert, würde man als Privatperson entrüstet von sich weisen: Niemand würde es dulden, dass sein Schuldner sich elegant der Verbindlichkeiten ihm gegenüber, ohne Konsequenz, entledigt und ihn dabei noch öffentlich beschimpft. Als Mitglied im Sparverein protestierte er empört, würde eines der Mitglieder mit unverzinsten Darlehen, ohne Sicherheiten, Laufzeit 50 Jahre, begünstigt. (Das ist außerdem strafbar, wie der Fall Hypo Alpe Adria ausführlich vor Augen geführt hat). Es gefiele im auch nicht, wenn ihm der Nachbar vorschriebe, welche Glühbirnen er in seinem Klosett einzuschrauben hätte, und wie die dortselbst installierte Spülung rauschen solle. Dasselbe, wenn der im Voraus bezahlte Mechaniker die Arbeit nicht erledigt, sich krank meldet und abends im Kino angetroffen wird. Oder der fußfesseltragende Großbetrüger die Opernaufführung genießt.

Und fuchsteufelswild entbrennte er letztendlich, müsste er erkennen, dass seine Bank klammheimlich sein angespartes Geld durch Druck von faulem Geld verdünnt hätte wie weiland die Weinpantscher oder Brotfälscher, denen man seinerzeit mit dem erfrischenden „Bäckerschupfen “ begegnete.

Es sei unbestritten, dass die Gesetze der Makroökonomie nicht so einfach darstellbar sind wie jene, welche die vielzitierte Stuttgarter Hausfrau zur Erfolgsstory macht. Ansonsten würde der jahrzehntelange Streit zwischen Monetaristen und Keynesianern nach wie vor nicht heiß entbrennen. Dass aber das gegenwertlose Drucken von Geld, gewissermaßen das Fluten des Marktes mit ungedeckten Schecks, langfristig nicht ohne üble Folgen bleiben kann, zeigen z.B. die aktuelle Entwicklung in Japan und die künstliche Börsenhausse, die vermittels billigen Spielkapitals angefeuert wird, während die unter erdrückenden Regulativen ächzende Unternehmerschaft in Europa damit nichts anzufangen weiß. Im Gegensatz zu den USA, wo man die Verzerrungen und Verirrungen im Bankensektor durch ein reinigendes Insolvenzgewitter auflöste, die Wirtschaft von überbordendem Vorschriftenwesen befreite, scheuen die europäischen Unternehmer vor der Nutzung des billigen Kapitals wegen der Sorge um mangelnde Rentabilität und übertriebener Besteuerung zurück.

Subsidiarität

Die österreichische Schule der Nationalökonomie hat bis heute ihre Faszination nicht verloren. Böhm-Bawerk, Schumpeter, von Mises und Hayek sind geistige Ahnherren der Chicago Boys und der Monetaristen. Dennoch mutet das Bemühen dieser Gründerväter um eine „Wirtschaftsrechnung“, die mathematische Aufarbeitung der Theorie vom Grenznutzen etc. in einer vom idealen homo oeconomicus oder dem genauso idealen homo socialis samt „weisem Staatenlenker“ geprägten Gesellschaft (Zitat v. Mises ) heutzutage seltsam blutleer an. Angesichts totaler Marktsättigung in den Industriestaaten, verzweifelter Bemühungen um die Erzeugung immer neuer Nachfrage und der zunehmenden Sorge um die Leistungsfähigkeit der Ökosphäre tun sich heutzutage ganz andere Fragen auf als die von dem damaligen „old boy network“ behandelten Probleme einer von Mangel und schweren Verteilungskämpfen charakterisierten Gesellschaft. Eine treffende Aktualisierung des alten und nun wieder neu aufgeflammten Streits zwischen Wirtschafts-Dirigisten und Fans der Unsichtbaren Hand lieferten vor etwa 10 Jahren die Österreicher Peter Wilhelmer und Franz Kreuzer . Im Zentrum der Auseinandersetzung steht die Frage des Kampfes zwischen Regulativ und freiem Kräftespiel, staatlichem Eingriff und privater Initiative, menschen-gemachter Ordnung und marktgelenktem scheinbarem Chaos. Insbesondere der Disput zwischen dem damaligen (2004) Chef der Investkredit AG, Wilfried Stadler sowie Ewald Novotny, dem jetzigen Gouverneur der Österreichischen Nationalbank, zeigen die Pole der Diskussion. Während Stadler einer moderat durch staatliche und internationale Rahmenbedingungen gesteuerten Marktwirtschaft, ergänzt durch allgemeingültige soziale und ökologische Normen das Wort redet und für eine Balance zwischen weltweit gültigen Marktregulativen durch ebensolche auf dem Gebiete des Sozialen und der Umwelt eintritt, wirft sich ein Vertreter der Neoliberalen Schule — Josef Christl für eine völlige Öffnung aller Schleusen für die Einzelinitiative in die Schranken. Er folgt damit den Thesen Adam Smiths, vergisst aber dabei, dass jener in einer Zeit noch unerodierter moralischer Standards und eines enorm starken Staates wirkte. Ähnliches, in abgemilderter Form, gilt auch für die Ära Schumpeters und Hayeks . Für Friedrich Wieser z.B. „war der Staat eine sittliche Anstalt“. Er müsse das Vertrauen zu sich selbst haben „eher den richtigen Weg zu finden als die wild wachsenden Mächte“ des freien Marktes. Was alle dargestellten Diskussionen aber letztendlich auf eine seltsam rückwärtsgewandte und auch rein diagnostische Ebene bannt, ist das Nicht-Einbeziehen vollkommen neuer Komponenten in das sozioökonomische Spiel:

  1. Des Paradigmenwechsels von einer Mangel- zur Überflusswirtschaft;
  2. des zunehmenden Verlusts bzw. der Missachtung von übergeordneten Werten, welche Wirtschaften in einen höheren Zusammenhang setzen;
  3. der progressiven Virtualisierung der Wertschöpfung und deren Verlagerung auf rein finanztechnische Operationen.
  4. die zunehmende Beeinträchtigung der Ökosphäre
  5. die Spannungen zwischen entwickelten und aufstrebenden Sphären des Globus.

Eine aktuelle Berufung auf die Lösungen Böhm-Bawerks, Wiesners, Schumpeters und auch Hayeks hat Ähnlichkeiten mit den Bemühungen eines Computertechnikers, der für einen Systemcrash Hilfe in den Schriften von James Watt oder der Gebrauchsanweisung Henry Fords für die Tin Lizzie sucht: Er missachtet den Wandel der Zeiten.

Eine brauchbare Denkhilfe in dieser heillosen Vielfalt ist der Begriff der Subsidiarität (s. auch weiter unten). Subsidiarität beschreibt ein Ordnungsprinzip im Verhältnis von Staat und Gesellschaft und besagt, dass ersterer im Verhältnis zur Gesellschaft nicht mehr, aber auch nicht weniger tun soll, als Hilfe zur Selbsthilfe anzubieten. Subsidiarität ist das Prinzip, dass eine größere gesellschaftliche Einheit nur dann zur Erfüllung einer Aufgabe herangezogen werden soll, wenn diese nicht durch die sachnähere Einheit erfüllt werden kann. Legt man das Prinzip der in der Tiefe gestaffelten kontrollierten Freiräume auf unsere Thematik — den Wettstreit zwischen Kollektivismus und Individualismus und dessen Folgen — um, so löst sich dieser, wie viele scheinbare Widersprüche, in ein lediglich graduelles Problem auf:

Es geht nicht um Schwarz oder Weiß, um Liberalismus oder Kollektivismus, um Hayek oder Keynes — sondern um eine ausgewogene Mitte, den optimalen Grad an Spannung zwischen Ordnung und Freiraum.

Unüberbrückbare Unterschiede zwischen Liberalismus und dem traditionellen Sozialismus liegen allerdings im Eigentumsbegriff an den Produktionsmitteln. Alle anderen Parameter, wie staatliche Einflussnahme und Besitz, damit der individuelle Freiraum für den Einzelnen und dessen wirtschaftliche Aktivitäten, sind in den Demokratien des Westens graduell veränderbar. Im Grad der Regulierung und deren Universalität, was ihre geographische Gültigkeit anlangt, liegt auch der Schlüssel zur Lösung unseres Rätsels.

Dies sei eine erste, grundlegende Antwort an alle Fundamentalisten der erwähnten zwei Lager. Zum Schluss: Das funkelnagelneue Bekenntnis eines neoliberalen Vorkämpfers, der gewiss nicht des Kollektivismus verdächtigt werden kann:

„Auch wenn volkswirtschaftliche Lehrbücher für Studienanfänger Individualismus und dezentrale Märkte predigen, beruhen unsere Sicherheit und unser wirtschaftliches Wohlergehen mindestens ebenso sehr auf kollektiven Entscheidungen mit dem Ziel, Krankheiten zu bekämpfen, eine solide wissenschaftliche Forschung und ein gut ausgebautes Schulwesen zu fördern, notwendige Infrastrukturen bereitzustellen und den Ärmsten der Armen zu helfen“.

Die Unsichtbare Hand kann sich nicht ganz von selbst am Zopf aus dem Schlamm ziehen. Das konnte — angeblich — nur Münchhausen. Offensichtlich glauben ihm manche noch immer: Soviel zur Relativität auch des Monetarismus.

Bürokratie und Kompetenzdschungel

Bürokratie, in Maßen und angepasst eingerichtet und angewendet, ist ein unerlässliches Instrument rationaler Herrschaftsausübung und Problembewältigung in Staat, Verwaltung und in Unternehmen. Bürokratische Strukturen sind durch allgemeingültige Gesetze geregelt und behandeln im Regelfall alle Betroffenen, ohne Ansehen der Person, gleich und sind durch Arbeitsteilung, Einsatz von speziellen Mitteln und Anwendung bewährter Denkweisen wirksam.

Nachteile einer auf die Spitze getrieben Bürokratisierung zeigen sich nicht nur im Staat, sondern auch in der Industrie und in anderen gesellschaftlichen Organisationen. Im staatlichen und überstaatlichen (insbesondere auch im europarechtlichen) Bereich liegen Risiken in einem Übermaß der Verrechtlichung und der damit verbundenen „Bürokratisierung“ des Lebens: Um der Vielgestaltigkeit des Lebens Rechnung zu tragen, finden sich in einem Rechtsstaat viele Ausnahme- und Sonderregeln für staatliches Handeln und ein immer komplizierteres System von Rechtsvorschriften. Doch selbst dieses Übermaß an rechtlichen Regelungen kann prinzipiell der Vielgestaltigkeit der Einzelfälle nicht angemessen sein. Zudem kann es, gemessen am eigentliche Verwaltungszweck, einen unverhältnismäßig hohen Aufwand an Kosten, Zeit und Kraft zu Lasten zügigen und einfachen Handelns erfordern.

Ein Ausweg kann darin liegen, Entscheidungskompetenzen in hohem Maße zu dezentralisieren, zugleich das Subsidiaritätsprinzip streng einzuhalten und für eine Verwaltungskultur zu sorgen, die es gestattet, der Verwaltung angemessene Ermessensspielräume zu gewähren, damit sie den konkreten Situationen gerecht werden kann.

Das Parkinson-Prinzip

„Arbeit dehnt sich in genau dem Maß aus, wie Zeit für ihre Erledigung zur Verfügung steht.“

Das ist die Quintessenz des Parkinsonschen Gesetzes zum Bürokratiewachstum, erstmals veröffentlicht 1955. Als motivierende Tendenz gibt Parkinson zwei Lehrsätze an, die in vielen Büros der Welt Gültigkeit haben:

  • Jeder Angestellte wünscht, die Zahl seiner Untergebenen, nicht jedoch die Zahl seiner Rivalen zu vergrößern.
  • Angestellte schaffen sich gegenseitig Arbeit.

Nach Parkinson beträgt die jährliche Zunahme des Personals ohne Rücksicht auf die Variationen der Arbeitsmenge zwischen 5,2 % und 6,6 %. Er geht sogar so weit zu behaupten, dass die Kernaufgaben auch ganz wegfallen könnten, ohne dass die Verwaltung deshalb schrumpfen würde. In modernen Verwaltungen wurden neue Begriffe und Funktionen eingeführt, wie z. Controlling, Neue Steuerungsmodelle, betriebswirtschaftliche Kennzahlen usw. Dabei steigt oft der Anteil des Personals in diesen Arbeitsbereichen, während für die eigentlichen Kernaufgaben das Personal stagniert oder gar sinkt. Dies läßt sich in Österreich z.B. signifikant im Schulwesen, dem überbordenden Projektgruppen-Unwesen oder auch anhand der zahlreichen Untersuchungsausschüsse beobachten, wo der Mangel an vorausschauendem Handeln durch nachträgliches Untersuchen (erfolglos) abgebüßt werden soll.

All diese Erscheinungen verursachen immer höhere Kosten, welche durch zahlreiche offene oder verdeckte Regulative dem Bürger aufgebürdet werden — insbesondere aber jenen, bei welchen auf Grund ihrer finanziellen Lage „noch etwas zu holen“ ist. Diese Gesinnung findet sich mittlerweile auch bei hochrangigen Vertretern konservativer Parteien, wie z.B. der ÖVP-Innenministerin, welche durch den öffentlich Aufruf „Her mit dem Zaster! Her mit der Marie“ im Jahre 2011 für Erstaunen gesorgt hatte.

Ein besonders eindrückliche Beispiel für das Überborden und ins Sinnlose-Übergehen der staatlichen „Fürsorge“ ist die schon erwähnte unterschiedliche Nutzung der durch das sogenannte Quantitative Easing (QE) von den Notenbanken in jüngster Zeit zur Verfügung gestellte billige Geld. Während die Möglichkeiten, die extrem günstigen Finanzierungsmöglichkeiten für Investitionen, Forschung und Entwicklung oder Ausweitung bestehender Geschäfte zu nutzen, in Europa wegen der zahlreichen bürokratischen Hindernisse weitestgehend ungenutzt bleibt, springen die Unternehmen in den USA auf den bereitgestellten Zug auf. Der Grund besteht ganz einfach darin, dass die Regulative in den USA bei weitem nicht so starr sind wie in der Europäischen Union mit ihrer vielstöckigen, emsigen Bürokratie, welche sich selbstständig gemacht hat und täglich neue Gesetze und Verordnungen produziert. Die nationalen Ämter haben sodann übergenug damit zu tun, diese weiter herunterzubrechen, zu verbreitern und noch komplizierter zu machen.

Macht in inkompetenten Händen

Niemand würde einen Installateur, geschweige denn einen Elektriker, in seinem Domizil an die komplexe und in manchen Fällen auch durchaus risikobehaftete Technik heranlassen, der nicht eine dafür vorgeschriebene Qualifikation nachweisen kann. Die teils sehr alten Gewerbeordnungen, Gesetze und Normen schreiben dies zwingend vor — mit gutem Grund. Eine falsch eingebaute Sicherung, ein ungeerdeter Kühlschrank können Gefahr für Leib und Leben darstellen.

Ganz anders steht es um jene Personen, welche per politischer Ermächtigung die Oberleitung über, z.B., die Finanzgebarung von Millionen Menschen ausüben. Hierfür ist, abgesehen von der Gunst einer Reihe politischer Mandatare, keinerlei nachzuweisende Kompetenz Voraussetzung. Während jeder sich halbwegs bei Sinnen befindende Tankstellenpächter oder Unternehmensvorstand seinen Buchhalter oder Controller auf Herz und Nieren prüft, bevor er ihrem die Aufsicht über seinen Geschäftsgang und die Kontobeobachtung anvertraut, abgesehen davon, dass er selbst oder Beauftragte das System öfters überprüfen, fuhrwerken ungelernte, fachfremde Politiker, beeinflusst von zahllosen Lobbyisten, mit dem Vermögen des ganzen Volkes iun zum Teil haarsträubender und verderblicher Weise, wie die „Bewältigung“ der aktuellen Bankenkrisen exemplarisch vor Augen führt. Im Finanzwesen ist dies — auf Grund der dann folgenden Gejammers — besonders deutlich. Nicht weniger schädlich sind jedoch ähnliche Effekte in anderen Bereichen des Staatswesens.

Auf Grund derartiger Kalamitäten ist es kein Wunder, dass jugendliche und jugendlich-sein-wollende quasirevolutionäre Kräfte in unserem Lande und auch europaweit immer mehr Zweifel an der herrschenden (Un-) Ordnung zu hegen beginnen, das gesamte System der aktuellen Wirtschaftsordnung und der Regelung von Besitz und Vermögen in Zweifel ziehen — und dabei immer öfter das Kind mit dem Bade ausschütten. Die verantwortlichen Politiker, beileibe nicht frei von Schuld, beeilen sich, populistisch der herrschenden Strömung eilfertig Beifall zu zollen und bahnen so Kräften den Weg, die die Malaise wahrscheinlich noch verschlimmern werden, anstatt sie besonnen zu reparieren: Dazu fehlen ihnen sowohl Sachkenntnis, Kraft als auch der Mut.

Die Rückkehr zur Eigenverantwortung

Als Fazit aus all den dargelegten Umständen bleibt die Erkenntnis, dass es Sache des Einzelnen — wo immer sie und er auch in der staatlichen unternehmerischen, bürgerlichen und parteipolitischen Hierarchie stehen und wirken mag — sich in den politischen Diskurs, auf der Basis sorgfältiger Recherche und Meinungsbildung, einzumengen und das beginnende Tohuwabohu, die Abwertung aller Werte im vielfachen Wortsinn, durch Kritik und Vorschläge zur Besserung hintanzuhalten. Dass dazu in einer Umwelt, in welcher mächtige Kräfte per Tabuisierung versuchen, ihre Positionen als die allein seligmachenden einzubetonieren, macht dies zu einem Unternehmen für die Mutigen und Selbstbewussten.

In diesem Sinne wurde der vorliegende Aufsatz verfasst: Nicht unparteiisch, aber so sorgfältig und verantwortungsbewusst wie möglich.

DI Dr. Klaus Woltron, Februar 2015

Kommentare
Werner Halbauer am 23.05.2020 um 17:30 Uhr:

Selbst wenn ich vom Gelesenen nicht alles verstanden habe, weil mir einfach die Grundlagen dafür fehlen, gebe ich Ihnen in fast allen Bereichen recht. Sie bringen viele unserer vergangenen und aktuellen Probleme auf den Punkt und ich würde vermuten, dass auch viele unserer Wirtschaftsbosse und Politiker verstehen, was Sie meinen. Trotzdem läuft so vieles schief. Sind diese Leute so in ihren Seilschaften gefangen, dass sie nicht dagegen ankämpfen können, oder sind sie so naiv zu glauben, dass es einfach so weitergehen kann? Haben Sie keine "Hausmacht", um diese traurige Meute aufzumischen? Ich sehe keine Möglichkeit, dass dies über Wahlen passieren kann.