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Klaus Woltron

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DIE INSELN DER UNSELIGEN

(Diesen Beitrag schrieb ich 1997 für ein österreichisches Nachrichtenmagazin. Daran sieht man wieder, wie man sich schrecklich täuschen kann.)

Das neue Europa stellt die Schweiz und Österreich — mein Heimatland — vor eine gänzlich ungewohnte Perspektive. Beide Staaten — der eine seit Jahrhunderten neutral, der andere erst seit dem Zweiten Weltkrieg — haben jeweils Wege gefunden, damit offensichtlich recht ungeschickt umzugehen.

Wir Österreicher beschlossen nach dem Krieg — nicht ganz ohne äußeren Druck, aber das haben wir, Meister darin, Entscheidungen anderer rechtzeitig als unsere eigenen darzustellen, tunlichst längst verdrängt — neutral zwischen den damaligen großen Blöcken zu bleiben. Wir sind bis jetzt, wie auch die Schweiz, sehr gut damit gefahren, trieben Handel und Wandel mit Ost und West, stellten uns mit allen gut, drückten da ein Auge zu, ließen dort einen nicht ganz korrekten Brückenschlag auf unserem Territorium geschehen. Wir wurden zur "Insel der Seligen" zwischen den beiden großen politischen Weltmeeren. Doch über Nacht gibt es die feindlichen Meere nicht mehr. Es gibt auch das Interesse des Westens nicht mehr, Österreich und die Schweiz als Teil einer Pufferzone zu wissen. Die Gründe für das angenehme und nicht immer ganz keusch eingehaltene Zölibat sind obsolet geworden. . Der EU traten wir Österreicher — bis dato mit recht gutem Resultat — bei. Alles Militärische jedoch ist uns ein Gräuel, und daher schließen wir jetzt einmal die Augen, gefallen uns nach außen hin in der tugendhaften Rolle des Keuschen. Andererseits ist klar, dass wir sie nicht mehr lange spielen werden können, sollten wir nicht als Mönch in härener Kutte vor dem dann geschlossenen Tor des Hauses Europa stehen wollen, mit dem Suppennapf in der Hand.

Die Schweiz tat, folgend dem Entscheid der Bürger, nicht einmal den ersten Schritt. Mittlerweile liegen die Bruttoanlageinvestitionen bei Null, gegenüber Wer-ten von ca. 2,5% in Österreich und Italien. Das reale Wachstum des BIP hinkt mit bestenfalls 0,5 ebenfalls um mehr als einen Punkt hinter der BRD, Italien und Österreich nach. Die Investitionen der internationalen Konzerne, so scheint es, wer-den in der Schweiz noch stärker als in den bereits in der EU befindlichen Staaten ins Ausland abgedrängt. Die Folge ist ein sehr paradoxe: Es fließt zwar viel Geld in die Kassen der Banken; dieses kommt aber nicht der heimischen Produktion, sondern der Veranlagung in Auslandsinvestitionen zugute. Die Konsequenz: Der Aktionär lebt gut, das Volk jedoch verharrt in Furcht vor Arbeitslosigkeit und Stagnation. Das Ausmaß dieser Drift ist stärker als in den EU — Staaten.

Die momentanen Turbulenzen um die Einführung des Euro werden die Unsicherheit, wie man sich endgültig orientieren soll, noch weiter verstärken. Betrachtet man die Dimension des Europa — Projektes jedoch aus geschichtlicher Perspektive, so nehmen diese Vibrationen die ihnen zukommende, periphere Dimension an. Wir befinden uns bereits inmitten eines kontinentalen Wettbewerbs der Ökonomien, Kulturen und Lebensstandards. Die Sicherheitszonen der Welt wurden erst vor einer Woche, in weltgeschichtlichem Ausmaße, neu konzipiert. Diese Kräfte sind so gewaltig und nachhaltig, dass es für Kleinstaaten — auch wenn sie es wollten — nicht möglich sein wird, sich auf Dauer aus diesem Strom ohne Schaden herauszuhalten und abseits zu stehen. Die politischen und ökonomischen Weltmeere haben bereits ihre neuen Ufer gefunden. Es könnte den beiden bisherigen "Inseln der Seligen" nur allzu leicht widerfahren, sich unversehens auf dem Trockenen einer selbst gewählten, unzeitgemäßen Isolation wiederzufinden.

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