Herr Muhm, die Quastenflosser und die Zeitenwende
Von Fossilien und anderen Raritäten
Äußerlich haben sie so gar nichts gemeinsam (s. Bilder), aber ansonsten gibt es verblüffend viele Gemeinsamkeiten. Die Rede ist vom Quastenflosser — (Latimeria Chalumnae Coelocanthus) — einem längst ausgestorben geglaubten, rundlichen,friedlichen Urfisch aus dem Devon (etwa 300 Mio. Jahre zurück); und von Herrn Muhm,einem schon etwas pyknischen Herrn, der die Arbeiterkammer vertritt. Im Vergleich zum Urfisch ist seine Art sehr jung: deren Vorfahren (Homines sapientes) bildeten sich erst vor etwa 2,5 Mio. Jahren heraus und liefern bis heute eine beispiellose, betreffend dessen Ausgang allerdings höchst ungewisse, Erfolgsstory. Die Quastenflosser hingegen zogen sich mehr und mehr in tiefe Gewässer,insbesondere des indischen Ozeans, zurück, man kannte sie bis 1938 nur aus Millionen Jahre alten Versteinerungen. Sie schwimmen langsam herum, träumen sanft vom guten alten Devon, als das Wasser noch warm war, das Futter noch fast von selbst ins Maul schwamm und das Meer von ihresgleichen wimmelte. Dort beginnt die Analogie mit Herrn Muhm. Sie liegt in der Art der Veränderung der Umwelt, der Methoden, sich ihr anzupassen, auf die neuen Zeiten zu reagieren und sich trotzig in die Tiefsee zurückzuziehen und dort — fast — auszusterben. Nun aber schön der Reihe nach: Viele Menschen haben noch nicht ganz begriffen, daß sich in unserer Zeit eine Bruchlinie der Geschichte auftut,die ihresgleichen nicht hat. Die Zugehörigkeit zu Religions — und Gesinnungsgemeinschaften (Parteien) wird unscharf. Die Menschen haben einen Informations- und Ausbildungsstand, der sie gegenüber vorgekauten fast-food-Ideologien und Bevormundung von oben immer skeptischer macht. Der Zugang zu Wissen ist Allgemeingut geworden, damit hat sich auch die Chance für Wißbegierige und Leistungswillige vervielfacht. Der Unterschied zwischen Unternehmer und Arbeitnehmer beginnt sich aufzulösen (Millionen von Arbeitnehmern sind direkt oder indirekt Aktionäre). Der Wettbewerb zwischen den Weltregionen ist voll entbrannt; ohne jene neuen Regulative, die in den nächsten Jahrzehnten entwickelt werden müssen, gewinnen vorerst (eigentlich wie immer) die Schnellen, Kreativen, Leistungswilligen, wo immer auf der Welt sie leben mögen. Eine solche Zeitenwende hat die Quastenflosser fast aussterben lassen.Sie waren damals auch nicht erfreut über das Aufkommen neuer Gattungen, die schneller schwammen, weniger schliefen, schärfere Zähnchen hatten. Es nützte aber nichts — sie mußten sich trotzig in die Tiefsee zurückziehen. Herr Muhm hat nicht verstanden, daß sich Menschen, die im internationalen Wettbewerb stehen, nicht mehr gefallen lassen werden, für die totale Sicherheit anderer finanziell aufzukommen. Er hat offensichtlich in seinem Leben nie spüren müssen, was Konjunkturkrisen, Arbeitsplatzangst und plötzliches gefeuert — Werden bedeuten. Er verlangt von der Allgemeinheit, jenen, die im geschützten Bereich — durchaus ehrenwert — ihre Arbeit verrichten, Privilegien zu belassen, welche alle anderen schon längst aufgeben mußten. Herr Muhm und seine Gesinnungsgenossen werden das Schicksal des Quastenflossers erleben: Abtauchen in die Tiefsee, Futtermangel und weitestgehendes Aussterben. Das war schon immer der Lohn für jene, welche die Zeichen von Zeitenwenden nicht rechtzeitig erkennen wollten — oder konnten.