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Klaus Woltron

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Traktor-Tuning. Ein paar Gedanken zum Sparkurs

“Wenn Schmerz, dann sofort“ (Ein Beitrag zu NEW BUSINESS; 1996)

Diese kluge Äußerung des bekannten deutschen Psychologen Jens Corssen fiel mir ein, als ich unfreiwilliger Zeuge der quälenden Geburt unseres Sparpakets werden musste. Wie viel an Nervensubstanz, Enttäuschung und vertaner Kraft hätte man sparen können, wäre man von Anfang an dem gesunden Menschenverstand gefolgt! Und dabei ist der jetzige Kraftakt bei weitem noch nicht ausreichend, um uns wieder auf einen wirklich stabilen, sicheren Kurs zu führen. Warum das? Lassen Sie mich etwas ausholen.

Henry Ford führte die straff organisierte Fließbandarbeit ein, die für die Produktion von zehntausenden völlig identen Fahrzeugen optimal war. Über Jahre hinweg wurde am Produkt keine Schraube geändert; die Organisation war vollkommen auf die Perfektionierung eines einzigen Systems ausgerichtet- das Modell Tin Lizzy. Praktisch alles wurde im eigenen Hause hergestellt.

Die Ansprüche eines Autokäufers von heute sind völlig anders. Schneller Modellwechsel, höchst individuelle Wünsche an das Fahrzeug verlangen vom Produzenten eine geradezu unglaubliche Flexibilität. Eine spezialisierte Organisation wie jene, die über Jahre hinweg Tin Lizzies, Einheitsfarbe schwarz, ohne Auswahlmöglichkeit, zur Verfügung stellte, wäre einem solchen Chaos- als das hätte man es empört empfunden- völlig hilflos gegenübergestanden. Unsere Ministerien sind aber irgendwie Tin- Lizzy- Produzenten geblieben.

                                                                 II

Nicht nur Autoproduzenten stehen unter dem Druck höchst individueller Kundenansprüche. Auch die Hersteller aller anderen Güter sind einem hohen Änderungsdruck ausgesetzt. Dieser lässt sich mit den bisher üblichen funktionalen Organisationen nicht mehr bewältigen. Da jede Organisation aber irgendwie ein Abbild ihrer Aufgabe ist :"wär’ nicht das Auge sonnenhaft, die Sonne könnt’ es nie erblicken;" J.W. v. Goethe — steht die Wirtschaft vor der Herausforderung, ihre Strukturen diesen neuen Aufgaben radikal und grundsätzlich anzupassen. Diese Ge-Gesetzmäßigkeit gilt nicht nur für Unternehmen, sondern auch für den Staat, der ja — unter anderem — das Substrat für die wirtschaftlichen Aktivitäten seiner Bürger bildet. Er muss sich also, soll er selbst und die Wirtschaft durchsetzungsfähig bleiben, organisatorisch ebenfalls grundlegend wandeln.

Althergebrachte Rationalisierungsinstrumente — Sparen, Personalabbau- funktionieren also nicht mehr ausreichend. Hiebei verhält es sich etwa so, als ob ein Landwirt, der in die Formel II einsteigen will, seinen Traktor hiefür tunen würde. Ohne Umstieg auf ein völlig neues Fahrzeug bräuchte er erst gar nicht zum Training anzutreten. Er muss sein altes Werkzeug abschaffen und sich in neuem Gewande den geänderten Aufgaben stellen. Das Gleiche ereignet sich, wenn eine Organisation einer total veränderten Dynamik gegenübersteht. Genau dies aber ist bei sehr vielen Unternehmen und auch beim Staat heute der Fall. Daher wird es, sollte man darauf vertrauen, nach Umsetzung all unserer Sparpläne bräche das Heil über uns herein, ein bitteres Erwachen geben. Dann fängt es nämlich erst an, wirklich schwierig zu werden.

                                                                                  III

Die wesentlichen neuen Herausforderungen sind-

  • Preisverfall innerhalb kürzester Zeit
  • schnell wechselnde Ansprüche der Kunden (und Staatsbürger)
  • Globalisierung des Wettbewerbs
  • völlig geändertes Konkurrenzumfeld (EU, Reformstaaten, Südostasiaten)
  • Wegfall regionaler Schutzbereiche (GATT, EU)
  • rasanter Fortschritt in vielen Aspekten der Dienstleistungen- Schule, Soziales, Infrastruktur, Umweltfragen

Die Antwort darauf kann nur darin bestehen, die gesamte staatliche Administration drastisch und von Grund auf zu ändern und ihre Reaktionsfähigkeit um eine Zehnerpotenz zu verbessern. Dass dies nicht ohne schwere Konflikte und Geburtswehen ab-laufen kann, versteht sich von selbst.

Die 10 Phasen des vollkommenen Wandels sind-

  1. Führungswechsel (meistens)
  2. Aufgliederung übergroßer Verwaltungsstrukturen in autonome Einheiten
  3. Dezentralisation der Schlüsselkompetenzen
  4. Abbau von 70% der zentralen Administration und Verlagerung in die aktiven Einheiten
  5. Föderalisierung des Informationssystems
  6. Auslagerung von non- core- activities
  7. Durchmischung mit Unternehmern
  8. Perfektionierung der Abläufe in den neuen Einheiten,
  9. Training aller Mitarbeiter auf das Denken in Prozessen
  10. Totale Konzentration auf den Kunden (den Staatsbürger).

In der Regel ist es nicht möglich, traditionelle Strukturen unter Belassung des bisherigen Managements aufzubrechen. Zu stark sind dessen Bindungen an das Althergebrachte. Das besagt aber nicht, dass das traditionelle Management nicht an an¬derer Stelle wieder gute Arbeit leisten kann. Hat man aber einmal fünf Jahre an einer bestimmten Stelle zu¬gebracht, ist man verstrickt, im Guten und im Schlechten, und braucht ein neues Revier. Auch das dürfte für die Reform eines Staatswesens seine Gültigkeit haben.

                                                                       IV

Das Aufgliedern in autonome Einheiten, die richtige Schnittlinienführung brauchen einen klaren, ungetrübten Blick und die Hilfe vieler erneuerungswilliger Menschen. Der Prozess dieser Neuplanung gibt Gelegenheit, kreative Mitarbeiter, die bisher im Verborgenen geblüht haben, kennen zulernen. Auch die restaurativen Kräfte geben sich zu erkennen.

Innerhalb neu geschaffener dezentraler Strukturen ist es dann verhältnismäßig leicht, überschüssigen organisatorischen Ballast loszuwerden, denn diese entwickeln rasch einen Egoismus, der unnötige Potentiale selbsttätig abstößt. In dieser Phase ist es sehr wichtig, kompetente, motivierte Persönlichkeiten an die Spitze der neuen Untereinheiten zu hieven, denn die Kontrollierbarkeit nimmt ab, die Abhängigkeit von der eigenen Kompetenz jedoch zu. Aktivitäten, die nicht zum Kerngeschäft gehören, werden an Spezialisten übertragen.

Einige Jahre wird es dann dauern, bis die ablauforganisatorischen Prozesse innerhalb der neuen Strukturen optimiert, die Informationssysteme angepasst und die Menschen an die neue Dynamik gewöhnt sind. Letzteres geht schneller, als man glauben mag. So groß die anfängliche Skepsis bei Total- Change- Projekten ist (üblicher Kommentar: "Das kann nie gehen"; "Alles wird zusammenbrechen"; "Die sind ja verrückt geworden", so schnell härtet sich die Mitarbeiterschaft gegen¬über einem kontinuierlichen Änderungsprozess ab.

                                                                       V

Wenn das neue Bewusstsein die gesamte Organisation durchdringt, wenn jeder Mitarbeiter seine Handlungen immer wieder daraufhin prüft, ob sie auch im Interesse des Ganzen liegen, dann hat sich ein Immunsystem in der Organisation entwickelt, das ohne starke zentrale Lenkung dafür sorgt, dass jeder das Richtige tut, dass rechtzeitig vorausschauend gehandelt wird und nicht zu spät, im Hinterdrein. Dann ist die Organisation schnell, schlank und kreativ geworden. Die Abläufe verkürzen sich um bis zu 50%, die Motivation steigt, jeder hat das zur Verfügung, was er zur Erfüllung sei¬ner Verantwortung braucht, die Suche nach etwaigen Schul¬digen für Unzulänglichkeiten muss jeweils bei sich selbst beginnen. Das Wechselspiel von Orientierung, zentraler Lenkung und Selbstorganisation richtig auszubalancieren ist dann oberste Führungsaufgabe geworden. Der zentralistische Dirigismus hat ausgedient.

Insofern sind schlanke Organisationsformen wirklich etwas völlig Neues, insbesondere in großen, vernetzten Organisationen. Die Voraussetzungen hiefür sind:

  • klare Ziele
  • Der selbständige, autoritätsunabhängige Mensch
  • moderne Informationstechniken
  • eine akzeptierte Führungsskultur und- ganz wichtig-

demütige, auf Pomp und unbedingte Autorität verzichtende Manager, in unserer Betrachtung Politiker.

Erst in diesem Prozess wird sich zeigen, ob wir wirklich mit der Zukunft umzugehen verstehen. Sparen allein ist noch keine große Kunst.

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