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Klaus Woltron

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Von der Fuffziger-Gasse in den Telekom-Sumpf

als KOMMENTAR DER ANDEREN in STANDARD 2012 veröffentlicht

Klaus Woltron

Auf der Suche nach dem Austrospezifischen im Umgang mit "Kassagreifern" im Beziehungsgeflecht von Politik und Wirtschaft — Richtungsweisende Gruselgeschichten aus dem Erfahrungsschatz eines Topunternehmers

Ein reicher Mann (oder vorbestraft) wäre ich heute, hätte ich dem ganz en passant vorgetragenen Vorschlag des Dr. K. im Jahre 1982 zugestimmt. " Man könnte ja einen Teil der für die Marcos-Cronies vorgesehenen 180 Millionen Schilling auf ein Konto der Bank of Taiwan überweisen, über welches Sie nach Belieben verfügen", schlug der ehrenwerte Geschäftsmann vor. Das Sümmchen war Zubehör eines Vertrages zwecks Lieferung eines Kraftwerks an die die Philippine Electric Power Corp. Als gerade in den Vorstand aufgerückter, 37-jähriger Waldbauernbub lehnt man entrüstet ab — und erntet ein verständnisloses, bedauerndes Lächeln.

Wollte man im Wien der 1980er-Jahre ein größeres Bauprojekt durch das Genehmigungsverfahren bringen, war die "Fuffzigerstraße" zu passieren — so genannt, weil an jedem Bürotisch, an dem man auf dem Weg zum Allerheiligsten vorbeikam, ein 50-Schilling-Schein diskret zu deponieren war. Ohne diesen Obolus war "der Herr Senatsrat nicht anwesend". Bei einem gemütlichen Abendessen setzte mich der Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft der damaligen Wiener Holding taktvoll in Kenntnis einer Kontonummer in der Schweiz, mit dem Ansinnen, mich doch der in Aussicht stehenden Erteilung eines großen Auftrages würdig zu erweisen. Dazumal gedachte man auch noch eines in Ungnade gefallenen, wegen Steuerhinterziehung verurteilten Finanzministers, welcher in den Genuss einer bedeutenden Spende eines im Dunkeln weilenden Wahlonkels gekommen war. Dieses Vermögen hat sich bis dato erheblich vermehrt.

Der Skandal um das Wiener Allgemeine Krankenhaus, die WEB-Pleite, der Zusammenbruch der Länderbank im Gefolge der Transaktionen von Erwin Tautner, die Kärntner Wasserwirtschaftsfonds-Pleite um das unselige Werk in St. Magdalen und andere Unzukömmlichkeiten, einschließlich den Prozess um den samt angeblicher Uranfabrik am 23. Januar 1977 von einem damaligen Politliebling per Zeitzünder im Indischen Ozean versenkten Schrottdampfer "Lucona" waren noch frisch. Was aber sind diese Peanuts — ein paar Millionen Schilling — gegen die Dimensionen, mit denen wir es heute zu tun haben! Da geht's um ganz andere Beträge. Apropos Wahlonkel: Finanzminister scheinen von solchen geheimnisvollen Gestalten besonders häufig beschenkt zu werden: Ein solcher, auch schon ehemaliger erhielt im Zuge einer (vermutlich unerlaubten) Annahme von Zuwendungen einen Porsche Cayenne (s. Wikipedia unter "Karlheinz Grasser"). Dort werden — selbstverständlich unter dem Vorbehalt der allerheiligsten Unschuldsvermutung — noch weitere Anklagepunkte gegen den ehemaligen Säckelwart der Republik aufgelistet: Homepage-Affäre, Buwog-Affäre, Linzer Terminal Tower, Novomatic-Affäre, Verstöße gegen das Unvereinbarkeitsgesetz, von Immobilienlobbyisten bezahlter Seychellen-Urlaub, von Constantia Privatbank bezahlte Nächtigung in St. Moritz, Mitverdienst am Verkauf der Hypo Bank, Ermittlungen wegen möglicher Geldwäsche. Diese Liste tangiert Transaktionen im Volumen von etlichen hundert Millionen Euro. 2007 kommentiert ebendieser gewesene Finanzminister, damals gerade Partner im Investmentfonds "Meinl International Power", den Absturz von drei Meinl-Papieren so: "Die Substanz der Unternehmen stimmt. Daher braucht sich um die Meinl-Aktien keiner Sorgen zu machen." Kurze Zeit später waren die Papiere bereits auf rund die Hälfte ihres Ausgabewertes gesunken, 150.000 Sparer verloren rund 1.100.000.000 Euro und der einstige Finanzminister der Republik planscht nach wie vor häufig in lauen Fluten südlicher Gewässer. Der ehemalige FPÖ-Mandatar Walter "Wo-woar-mei-Leistung"-Meischberger wiederum kassierte im Zuge der Privatisierung von tausenden Bundeswohnungen einmal zehn Millionen, dann 600.000, dann wieder 708.000 Euro für "Vermittlungen" und hat damit viel mehr Geld verdient als ich als zweimaliger Generaldirektor größerer Etablissements, in meinem ganzen bisherigen Leben: Das war offensichtlich die eigentliche Leistung. In den letzten Tagen kann man einen interessanten Einblick in die Gepflogenheiten von Politikern und Interessenvertretern im Zusammenhang mit den Benefizien, die aus den Töpfen eines teilstaatlichen, verlustträchtigen Telekom-Konzerns fluten, gewinnen. Wiederum geht es um Summen, welche jene der sonnigen Achtzigerjahre mühelos in den finstersten Schatten stellen: etwa 35 bis 50 Millionen. Kolossale Bewegungsfreiheit Besonders possierlich ist der Umstand, dass einer der beamteten Ermittler in der grauslichen Causa selbst als Empfänger von Geldern ohne nachweisbare Leistung enttarnt wurde und nun, sozusagen masturbatorisch, sich selbst "ermittelt". Nebenbei bezichtigt man den anklagenden Staatsanwalt der Repression. Bis heute ist kein einziger der Vorteilsnehmer (früher drastisch "Kassengreifer" genannt) einer rechtskräftigen Verurteilung zugeführt worden. Hängt das vielleicht mit der Nähe unserer Halbinsel der Unseligen zum Balkan zusammen? "Nicht nur kleine Beamte werden beim Anschein einer Vorteilsannahme durchleuchtet, sondern eben auch der Bundespräsident", schreibt der Spiegel anlässlich des Rücktritts des deutschen Staatsoberhaupts. Dieser stolperte über eine Reihe von Kungeleien, die ihm einen wirtschaftlichen Vorteil von lediglich ein paar Zigtausend Euro eingebracht hatten. Der schweizerische Nationalbankchef Philipp Hildebrand wiederum musste resignieren, weil sich seine Gemahlin kurz davor vermittels Insider-Wissens mit einer Finanztransaktion 67.000 Franken (ca. 62.000 Euro) verdient hatte. In Österreich hingegen entwickeln sich derartige Unregelmäßigkeiten stets um ein paar Größenordnungen kolossaler. Dies hängt ohne Zweifel mit unterschiedlichen Kulturen im Umgang mit moralisch Grenzwertigem zusammen. Was in Österreich als Kavaliersdelikt ("mir wern kann Richter brauchen") durchgeht, ist in der BRD und der Schweiz bereits unverzeihlich.Die agierenden Personen genießen, gemäß der messerscharfen austriakischen Logik der Proportionalität, daher eine ebenso kolossale Bewegungsfreiheit. Die dahinterliegenden, unsichtbaren Verflechtungen und Beziehungsnetzwerke sind ungleich dichter als im nördlichen und westlichen Ausland, am ehesten noch jenen in südlichen und östlichen Gefilden vergleichbar. Mit Sicherheit ist die jetzt in Umrissen sichtbare Kalamität nur die Mündung eines unterirdischen Schlammvulkans, im dem noch ganz andere Kaliber ihre Geschäfte machen. Das ganz große Ding aber dreht derzeit die EZB. Von Repräsentanten der klammen Staaten im Süden geführt, schüttet sie mehr als eine halbe Billion frisch gedruckte Euronen ins Pleitegeschehen, für welche zwar alle Europäer gleichermaßen garantieren, aber nur die nördlichen das Potenzial haben, diese Garantien auch wirklich zu erfüllen. Was sind gegen dieses "gute Geschäft" (O-Ton der österreichischen Finanzministerin) die paar läppischen Milliarden, von denen bei uns so großes Aufhebens gemacht wird! Peanuts wiederum — wobei wir am Anfang einer nächsten Gruselgeschichte angekommen wären. Davon in zwei, drei Jahren mehr. Bei Ausbruch der Märzrevolution 1848 soll sich folgende Szene zugetragen haben: Ferdinand I, Kaiser von Österreich ("der Gütige" ), betrachtet mit Kanzler Metternich von einem Fenster der Hofburg aus eine große aufgebrachte Menge. Er fragt Metternich: "Was mach'n denn all die viel'n Leut' da? Die san so laut!" Dieser antwortet: "Die machen eine Revolution, Majestät." Ferdinand darauf konsterniert: "Ja, derfen s' denn des?" Dieser Spruch könnte auch, kollektiv, von unserer so dynamischen, proaktiven Bundesregierung stammen.

(Klaus Woltron, DER STANDARD, 17./18.3.2012)

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