„Wie der Herr, so das Gscher“ lautet ein altes Sprichwort. Taugte der Bauer nichts, so ging es auf dem Hof drunter und drüber: Das „Gscher“, Knechte und Mägde, taten, was sie wollten, das Vieh erkrankte, die Äcker verunkrauteten. Der Hof verlotterte, musste sich verschulden und wurde „vergantet“: an den Bestbieter versteigert. Der Bauer samt Familie sank in die Knechtschaft herab.

Die Rolle der Führung

In der Wirtschaft hat die Führung einen entscheidenden Einfluss auf das Schicksal einer Gesellschaft. Oft merkt man das Fehlen eines tüchtigen Chefs erst dann, wenn dieser nicht mehr da ist. Im Falle des Staats liegen die Verhältnisse etwas anders: Das Gscher wählt seine Herren selbst. Diese sind zumeist ein ungefähres Abbild der Wählerschaft: Sie reproduzieren sich in einer Art Koevolution immer wieder neu. Di Oberen und Untere bestimmen einander wechselseitig. Diese Wechselwirkung kann sich, je nach den herrschenden Umständen, segensreich entwickeln oder zu einem Teufelskreis entarten.

Die Auswahl

Man sollte meinen, dass die Aussiebung der später in hohe Ämter gelangenden Personen nach fachlichen und charakterlichen Eignungen erfolge und jene Leistungen, welche am Weg zur Spitze nachgewiesen werden können, ausschlaggebend wären. In vielen, ja den allermeisten Fällen, wiegen aber andere Qualitäten schwerer. Die „Sieblinie“ im Wahlverfahren ergibt ein ganz andere Verteilung der Qualifikationen.

Die Sieblinie ist jene Kurve, mittels derer die Korngrößenverteilung eines Gemenges grafisch dargestellt wird. Sie wird ermittelt durch Sieben, wobei nacheinander Siebe mit sukzessive abnehmender Maschenweite verwendet werden. Sie zeigt, was in den einzelnen Korngrößenklassen übrigbleibt.

Der Wähler lässt sich nur allzu leicht von wohltönendem Geschwätz ohne echten Hintergrund betören. Die Kunst der Rede gewinnt dadurch die Oberhand über nicht erbrachte Verdienste. Eigenständige Naturen, welche sich dem herrschenden Zeitgeist nicht anpassen wollen, steigen in das Rennen um die Macht erst gar nicht ein oder werden bald von situationselastischen Glücksrittern überrundet. Wer den brutalen und oft ordinären Umgangston im politischen Gezänk verabscheut, wird dort nicht lange bestehen. Auch die Kunst der Wortverdrehung, mit der sich alles im selbstgefälligen Licht darstellen lässt, ist eine Besonderheit des erfolgreichen Politikers. Sein Ruf ist freilich schlecht. Eine Umfrage der Zeitschrift Pragmaticus ergab jüngst, dass 58 Prozent der Befragten meinten, Politiker machten ihre Sache nicht gut.

Dies alles verlockt nicht dazu, eine Laufbahn in der Politik zu wählen. Sie setzt Eigenschaften voraus, die der Normalbürger bei seinem Mitmenschen gering schätzt. In der politischen Hierarchie finden sich, je weiter oben man sucht, immer weniger Menschen, mit denen man einen Urlaub verbringen möchte. Etliche Ausnahmen bestätigen die Regel.

Aufstieg in unterschiedlichen Kulturen

Der geschilderte Kreisprozess zwischen Herr und Gscher motiviert dazu, einen Blick in andere Kulturen zu werfen. Ganz offensichtlich ist der Einfluss der Auswahl von Führungspersonal ein Spiegelbild dessen, was man dort für wichtig hält und auf welche Weise das Schicksal eines Volkes von ihm selbst und seinen ausgewählten Obrigkeiten beeinflusst wird. Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass die Sieblinie in unterschiedlichen Kulturen höchst unterschiedlich ausfällt. Die Anforderungen an die Kandidaten sind verschiedenartig, und damit auch das ganze politische System, samt dessen Stärken und Schwächen.

USA, EU, Russland und China im Vergleich

In den USA….

herrscht das Mehrheitswahlrecht. Individualismus und die Self-Made-Man- Erzählung, Kraft und Aggressivität und eine gewisse Gnadenlosigkeit prägen die Politik. Der Aufstieg ist personenzentriert. Medien spielen die Hauptrolle und betonen das Charisma der Kandidaten. Ohne Unterstützung durch kapitalkräftige Sponsoren in dem wettbewerbsorientierten System der USA sind Wahlen nicht zu gewinnen. Religiosität spielt eine wichtige Rolle und wird oft betulich in den Vordergrund gestellt.

In der EU…..

…führt die Vielfalt an Kulturen zu regional unterschiedlichen Erwartungen an den Politiker. Je nach angesprochener Wählerschaft wird die europäische Integration unterstützt oder abgelehnt. Der Aufstieg ist auf die vertretene Partei ausgerichtet, koalitionsorientiert und durch eine Gratwanderung zwischen nationalen und europäischen Interessen gekennzeichnet. Berufliche Qualifikation und Leistung steht im Hintergrund. Die Gesamttendenz weist nach links. Unbedingte Parteitreue, Kompromissfähigkeit, Elastizität und schnelle Anpassung an den Wandel des Zeitgeists sind gefragt. Der Einfluss von Religionen ist gering.

Starke und patriotische Kandidaten….

…besonnen und diszipliniert, werden in der Russischen Föderation geschätzt, nationales Interesse über persönliches gestellt. Einheit in Krisen ist wichtig. Kandidaten, die Stabilität, wirtschaftliches Wachstum und militärische Stärke betonen, haben Vorteile. Sie brauchen Zugang zu staatlichen Ressourcen, Medien und Oligarchen-Netzwerken. Sie müssen Putins Politik unterstützen und möglichst keine Kritik äußern. Unabhängige oder echte Oppositionelle sind chancenlos. Das orthodoxe Christentum spielt eine gewisse Rolle.

Kollektivismus und Parteidisziplin….

…dominieren in China. Persönliche Ambitionen müssen im Einklang mit den Zielen der KPCh stehen, und historische Reminiszenzen, die bis zu Legenden ausarten, prägen die politische Rhetorik. Der Aufstieg erfolgt parteiintern, strikt kontrolliert durch die KPCh und folgend den bestehenden Stufen in der Hierarchie. Öffentlichkeit und Religion spielen in dem autoritären System eine untergeordnete Rolle. Wichtig sind Disziplin, nachweisbare Leistungen und hervorragende Ausbildung.

Die großen Vier in einer unruhigen Welt

Das US-System und das Regime Putins sind für internationale Konflikte am effizientesten gerüstet. Die Europäer figurieren am besten in Friedenszeiten, und China spielt ein ruhiges kollektives Schach für seine Zukunft als Weltmacht.

Was das alles in Zeiten wie diesen bedeutet, bedarf keines weiteren Kommentars.

Die Informationen in diesem Beitrag stammen aus eigener Erfahrung und einer umfangreichen tiefgehenden Suche mit GROK4, welche durch zusätzliche Literaturstudien kontrolliert wurde.